Storytelling: Mit Vollgas durch die Glasdecke
Warum muss Content eigentlich so wahnsinnig gut sein? Tut es nicht auch ein mittelprächtiger Text, solange er ausreichend Informationen enthält? So könnte man tatsächlich argumentieren – gäbe es da nicht die zig Millionen anderen mittelprächtigen Internettexte, die irgendwie auch ganz gute Informationen enthalten.
Zum Beginn dieses Artikels gönne ich mir ein altes Sprichwort: „Wer in der Mittelmäßigkeit lebt, hat keinen Grund, etwas Großartiges zu erhoffen.“ Eines ist klar: Um bei der vielzitierten Content-Flut im Netz noch hervorzustechen, muss man den besten Content ins Netz bringen. Die Frage, die sich stellt ist:
Wie geht dieser richtig gute Content denn?
Content ist gut, wenn er das Zielpublikum erreicht – und zwar ausnahmsweise nicht über die Kanäle, sondern über die Emotionen. Dann bleibt die Botschaft nämlich im Kopf haften. Außerdem erzählt man gerne anderen davon. Beide Effekte sind das, was Content Marketing so attraktiv macht.
Top-Content geht nicht ohne Emotionen
Die erfolgreichsten Content-Projekte haben eines gemeinsam: Sie lösen starke Emotionen aus. Ob das nun
- Faszination,
- Mitgefühl,
- Identifikation,
- ein Aha-Effekt oder einfach
- ein herzhaftes Lachen
ist, spielt keine Rolle. Um den Nerv zu treffen, braucht man eine gute Geschichte, aber auch das Storytelling muss sitzen. Selbst das ist noch lange nicht genug, denn da ist ja auch noch die handwerkliche Umsetzung. Das passende Format ist wichtig, auf die richtige Sprache von Bild und Text kommt es an. Und ehrlich gesagt, manchmal gehört auch einfach ein Quäntchen Glück dazu.
Der beste Content ist ein Rundwanderweg
Eine Zauberformel für das richtige Verhältnis gibt es leider nicht. Zielgruppen sind sehr verschieden und wünschen sich unterschiedliche Inhalte und Formate.
Hier ist es wichtig, die Content-Strategie als fortlaufenden Prozess zu betrachten und nicht als einen in Stein gemeißelten Fünfjahresplan.
Der Content sollte ständig analysiert und ausgewertet werden. Auf dieser Basis kann man für die Content-Planung – wenn nötig – eine Kurskorrektur vornehmen: Den beliebten Content ausbauen und das Unbeachtete außen vorlassen. So rückt der optimale Content-Mix nach und nach in greifbare Nähe.
Der Mensch liebt die Story
Bei allen technischen Finessen, die verschiedene Content-Formate bieten, braucht jedes Format schlussendlich doch immer eine gute Geschichte.
Ohne die Geschichte ist jedes Content-Format eine leere Hülle.
Menschen lieben seit Menschengedenken Geschichten. Mit Geschichten kann man ganz wunderbar andere unterhalten, begeistern und vor allem für sich gewinnen. Geschichten haben neben der Effekthascherei nämlich einen besonderen Vorteil: Sie werden im Gedächtnis nachhaltiger abgespeichert. Die Psychologen gehen davon aus, dass wir uns an Geschichten besser erinnern, weil das Gehirn nicht zwischen einer erzählten Geschichte und einem echten Erlebnis unterscheidet.
Die Grundformel für Storytelling
Darum setzt sich Storytelling als Methode im Marketing immer mehr durch: Statt einer reinen Informationsvermittlung wird eine Erzählform gewählt, um die Inhalte zu kommunizieren. Das Vehikel dafür ist eine Geschichte.
Geschichten folgen seit den Zeiten Alibabas und seiner vierzig Räuber einem ähnlichen Muster. Daran hat auch das Internet nicht viel geändert.
Das Setting
Meist beginnt die Geschichte mit einem ganz alltäglichen Problem, einem Konflikt oder einem ungewöhnlichen Ereignis. Die Situation sollte möglichst einfach und nachvollziehbar für das Publikum sein, denn das steigert die Identifikation. Ein gewisser Überraschungseffekt oder ein verschrobenes Setting macht neugierig.
Die Handlung
Trotzdem ist es wichtig, dass die Situation schnell und einfach zu erfassen ist, damit die Geschichte die volle Aufmerksamkeit des Publikums erhält. Dann kann es mit den Irrungen und Wirrungen losgehen. Der Plot schließt sich an.Es folgen also weitere Ereignisse, die möglichst unterhaltsam oder spannend sind, damit man bei der Stange bleibt. Den Spannungsbogen hält man mit Tricks wie einem erhöhten Erzähltempo zur rechten Zeit und gezielten Pausen aufrecht. Das gibt der Story Würze.
Der Held/die Heldin
Die Handlung ist eigentlich immer das Ergebnis von Entscheidungen und Reaktionen der Handelnden. Darum braucht eine gute Geschichte dringend einen Helden, der gerne eine Heldin oder ein Antiheld sein darf.
Wichtig ist, dass der Protagonist einen „Fehler“ hat, der ihm im Weg steht.
Im Laufe der Geschichte gibt es dann die „Hilfe“, die ihn den Fehler überwinden lässt. Je mehr der Held zu verlieren hat („Fallhöhe“), desto spannender ist die Geschichte. In Hollywood-Filmen steht daher nicht selten die Existenz unseres gesamten Planeten auf dem Spiel. Ganz zum Schluss kommt die möglichst unvorhersehbare Auflösung.
Die hier skizzierte Blaupause ist bei Weitem nicht die einzige Variante des Storytelling. Beispielsweise gibt es Geschichten mit Heldengruppen oder Parallelgeschichten. Die Erzählperspektive einer Geschichte kann gleich bleiben oder wechseln. Es gibt den allwissenden oder den Ich-Erzähler.
Dabei kann man sich verschiedenster Techniken bedienen: Beim Visual Storytelling wird die Handlung und die Emotion vorrangig über Bilder transportiert. Erzählt man eine Geschichte über mehrere digitale Plattformen hinweg, redet man vom Transmedia Storytelling. Das berühmte Liquid Storytelling von Coca-Cola ist eine interaktive Form des Erzählens. Man setzt auf die beidseitige Kommunikation, bei der auch die Empfänger einbezogen werden. Nicht umsonst füllt das Thema Storytelling Bände.
Der Trick: Die Botschaft muss entschlüsselt werden
Der Kern der Methode besteht darin, dass man die Aussage dem Publikum nicht direkt, sondern hübsch verpackt präsentiert. Der Empfänger erhält im Laufe der Geschichte genügend Zeit, die Botschaft zu verstehen.
Da die Information nicht explizit ausgesprochen wird, muss der Empfänger sie selbst entschlüsseln.
Er beginnt, über das Erzählte nachzudenken. Dadurch entsteht ein weit höherer und nachhaltigerer Effekt als bei der klassischen Informationsvermittlung. Das Ergebnis: Die Geschichte verankert sich deutlich stärker im Kopf.
Warum ist Storytelling so wichtig?
Weil es die Möglichkeit bietet, aus der Content-Flut herauszustechen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Mal ganz abgesehen davon, dass es in der Natur des Menschen liegt, gerne gute Geschichten zu hören. Auch in informierenden Content-Formaten lassen sich übrigens Geschichten unterbringen. Wenn Sie beispielsweise über ein neues Gesetz in Ihrer Branche schreiben, erzählen Sie, welche konkrete Auswirkung diese Veränderung in einer bestimmten Situation oder für eine Person bedeutet hat.
Fallbeispiel Melbourne Metro: Wenn Storytelling Leben rettet
Ein altgedientes, aber sehr anschauliches Beispiel ist der Viralhit von Metro Rail Link, dem Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs in Melbourne aus 2013. In dem morbiden Viralvideo Dumb Ways to Die (deutsch: Dumme Arten zu sterben) verunglückt darin eine Horde bunter Cartoonfiguren nach und nach auf selten dämliche oder abwegige Art und Weise. Die Handlung wird von einem beschwingten Lied begleitet, das die bizarren Todesfälle wenig empathisch besingt. Ganz am Ende des dreiminütigen Clips geht es schließlich um Unfallsituationen rund um den Bahnsteig, bevor sich der Absender endgültig offenbart.
Die Botschaft ist simpel: Sei vorsichtig am Gleis. Das hat man aber schon so oft aus den Lautsprechern am Bahnhof gehört, dass man es gar nicht mehr wahrnimmt. Denn gerade weil die Information wieder und wieder auf uns herabrieselt, dringen solche Lautsprecherhinweise nicht mehr zu uns durch. Erst durch die neue Erzählform erhält die eigentlich wichtige Information die nötige Aufmerksamkeit.
Mit dem Onlinevideo hat es Melbourne Metro auf über 170 Millionen Views gebracht. Das als Hintergrundmusik verwendete Lied wurde ein Hit in den weltweiten iTunes-Charts. Tausende von Fans stellten selbst gedrehte Spin-off-Videos ins Netz, die wiederum zig Millionen Views erzeugten.
Die Geschichte macht die Botschaft wieder sichtbar
Aber nicht nur das: Laut Aussage von Melbourne Metro sind die Unfälle an Bahnsteigen bereits drei Monate nach Launch des Videos um ein Viertel rückläufig gewesen. Diese Zahl spricht bereits für sich. Wenn man noch bedenkt, dass vermutlich längst nicht alle Fahrgäste das Video gesehen haben, ist die Wirkung noch beeindruckender.
Die federführende Agentur McCann dokumentierte überdies, dass sich 28 Millionen Menschen weltweit durch die Kampagne in Zügen sicherer fühlten. Storytelling hat sich in diesem Fall bewährt, um einer ausgetretenen Botschaft Gehör zu verschaffen (McCann 2013).
Fazit
Storytelling ist eine Methode, mit der eine Botschaft indirekt vermittelt wird. Das Publikum muss mitarbeiten, um den Inhalt zu verstehen. Dadurch entsteht ein intensiverer Eindruck, die Geschichte bleibt im Gedächtnis und wird im Idealfall weitererzählt. Das gelingt jedoch nur, wenn die Geschichte beim Empfänger Emotionen auslöst. Eine gut erzählte Analogie mit einem neuen Dreh und einem verblüffenden Ende wirkt auch ohne Pauken und Trompeten.