Meet the Millennials: Werbeagenturen prallen auf die Generation Y
Generation Praktikum war ein Buzzword, das in den 90er Jahren sehr schnell die Runde machte. Allerdings stellte sich ebenso schnell heraus, dass es keine Generation sondern eine Branche Praktikum war. Junge Arbeitssuchende aus den stark nachgefragten Bereichen der IT, aus dem Ingenieurwesen oder Maschinenbau wurden nicht als Praktikanten eingestellt, sondern mit vielen Anreizen, wie gutes Einstiegsgehalt und Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, angelockt.
Werbeagenturen, die zumindest subjektiv ihren Teil an der gesellschaftlichen Betrachtung der Generation Praktikum geleistet haben, sehen sich nun aber einer neuen „Arbeiterbewegung“ gegenüber: der Generation Y. Allerdings hat sich das Kräfteverhältnis mittlerweile verändert. Im Kampf um Mitarbeiter sind es nicht mehr (nur) die Agenturen, die bestimmen, welche Anforderungen neue Kollegen mitbringen müssen. Fragen bleiben trotzdem offen: Was soll man von dieser Generation halten? Betrifft dieses Buzzword wieder nur einen kleinen Teil der Gesellschaft? Und ist dies nicht einfach nur eine Ursache wirtschaftlicher Prosperität, in der man sich leisten kann, Sinnfragen zu stellen? Diese Fragen können selbstverständlich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werden. Allerdings sollten Agenturinhaber – egal welcher Größe – die Ohren spitzen. „Die Millennials verändern die Arbeitswelt. Sie stellen Fragen, die diskutiert werden wollen. Sie fragen nach flexiblen Arbeitszeiten, Work-Life-Balance und Aufstiegschancen.“ sagt Robin Sudermann, CEO von Talents Connect.
Der Nachwuchs hat ganz klare Vorstellungen
Robin Sudermann hat selber in einer Agentur gearbeitet. Gemeinsam mit drei anderen Kollegen, ebenfalls ehemals in Agenturen tätig, hat er sich selbstständig gemacht. Talents Connect ist das Resultat. Das Start Up vermittelt seit 2013 erfolgreich Bewerber in Jobs. Durch einen wissenschaftlich validierten Algorithmus, der nicht nur harte Faktoren wie Tätigkeit, Standort und Gehalt abfragt, sondern auch weiche Punkte integriert, finden Bewerber und Recruiter passgenau zusammen. Will ich zu Hause, im Büro arbeiten oder unterwegs sein? Soll mein Job aus Besprechungen, Präsentationen, Konzepten oder praktischer Arbeit bestehen? Ist mir Teamwork wichtiger als genaue Zielvorgaben? Suche ich lieber selbstständig nach Lösungen oder halte ich lieber Rücksprache? Alles Fragen, die sich potentielle Arbeitgeber auch stellen, beantworten und anhand der Übereinstimmungen passende Bewerber erhalten.
„Der gesamte Stellenmarkt ist starr und dreht sich um die Unternehmen“ sagt Sudermann in der ZEIT (Quelle: http://www.zeit.de/2014/52/jobboerse-matching-unternehmen-bewerber-sympathie) und auch die Business Punk titelte nicht weniger progressiv mit dem Tod der Bewerbungsmappe (Quelle: http://www.business-punk.com/2014/10/tod-der-bewerbungsmappe/). Ob es wirklich so weit kommt, kann niemand vorhersagen. Eines ist aber auf jeden Fall klar: Der Bewerbungsprozess befindet sich in einem Wandel. Das macht eine repräsentative Umfrage deutlich, die Talents Connect und YouGov durchgeführt haben. Darin machen die Ergebnisse vor allem auf eines aufmerksam: Die Altersgruppe von 18-34 Jahren ist mit dem Bewerbungsverfahren extrem unzufrieden. Auf die Frage, wie der Informationsgehalt von Stellenanzeigen bewertet wird, geben nur 25% der 18-24-Jährigen und sogar nur 17% der 25-34-Jährigen eine positive Antwort. Ein weiterer Punkt ist noch unerfreulicher: Nur 20% der 18-24-Jährigen und sogar nur 9% der 24-32-Jährigen haben immer eine Rückmeldung auf ihre Bewerbung erhalten. Der Rest bekommt keine Antwort. Auch keine Bestätigung, dass die Bewerbung angekommen ist (Quelle: http://blog.talentsconnect.com/yougov-studie-bewerbungen/).
Dass Bewerber diesen Umgang nicht schätzen, liegt auf der Hand. Aber bei der aktuellen Beschäftigungslage sitzen sie immer häufiger am längeren Hebel. Aber ist die Entwicklung eine Überraschung? Nicht wirklich. Der demographische Wandel geht Hand in Hand mit dem Fachkräftemangel. Aber kann man nun auch von einer Generation Y sprechen? Ja, eindeutig. Zahlreiche Studien, die sich mit den Millennials beschäftigen verdeutlichen das. Bereits 2010 hat die Shell Jugendstudie beispielsweise gezeigt, wie stark der Wunsch nach Familie und Kindern ausgeprägt ist. Sowohl bei männlichen als auch weiblichen Befragten liegt der Kinderwunsch im Vergleich zu 2006 deutlich höher. Ganze 65% der männlichen und 73% der weiblichen Befragten gaben an, später Kinder zu wollen (Quelle: http://s02.static-shell.com/content/dam/shell-new/local/country/deu/downloads/pdf/youth-study-2010children.pdf). Muss das ein Grund zur Panik sein? Nein, nicht unbedingt. Aber Vorsicht. Die Wechselbereitschaft ist weitaus höher als zuvor. Die Loyalität zum Arbeitgeber hat deutlich abgenommen. Außerdem schauen die Millennials nach Arbeitgebern, die Werte vermitteln und für diese auch einstehen (Quelle: http://www.pwc.de/de/prozessoptimierung/studie-millennials-at-work-was-unternehmen-berufseinsteigern-jetzt-bieten-muessen.jhtml).
Der Hochglanzlack ist abgekratzt
Einer von vielen Punkten, der in Agenturen zumindest in der Außenwahrnehmung nicht immer gelebt wird. Mehrere Branchenexperten warnen zuletzt offen über den bevorstehenden Nachwuchsmangel. Werbeagenturen haben ihren Glamour der 80er und 90er Jahre verloren. Werbekönige, die sich mit Preisen schmückten, die, wenn überhaupt, nur in der Branche Anerkennung finden, haben an Relevanz verloren. Was ist geblieben? Werbeagenturen haben immer noch das Image, Knochenmühlen zu sein, in denen nicht viele lange überleben. Wer kann schon auf Dauer morgens immer der Erste sein und abends der Letzte? Amir Kassaei, internationaler Kreativchef von DDB, verlautete vor kurzem vielsagend, dass Qualität von Qual kommt. Das Selbstverständnis der Branche äußert sich demnach aber nicht nur in Überstunden sondern auch in einer vergleichsweise schlechten Bezahlung für Berufsanfänger, die sich in Hierarchien wiederfinden, die durch Termindruck und Ellbogenmentalität einen rauen Ton pflegt. (Quelle: http://www.brandeins.de/archiv/2012/zweite-chance/auf-dem-boden-der-tatsachen/). Der 2001 erschienene Roman „Neununddreißgneunzig“ von Frédéric Beigbeder macht dies erschreckend realistisch deutlich. Werber sind bemitleidenswerte Narzissten mit Drogenproblemen, die sich von der Realität weit entfernt haben. Ironischerweise war das eigentliche Ziel des Romans, mit der Veröffentlichung gefeuert zu werden.
Jasper Keßler, ehemals bei Thjnk Berlin und Jung von Matt/Spree, hat eine ähnliche Karriere hingelegt und sich Anfang 2015 mit zwei Freunden selbstständig gemacht. Er steht beispielhaft für die Probleme der Generation Y mit der Agenturwelt. Vier Hauptprobleme werden von ihm identifiziert:
- Unnahbare Agenturen: Nachdem man in der Agenturwelt angekommen ist, fühlt man sich wenig wertgeschätzt. Das extrem geschlossene Ökosystem lässt kaum Mitarbeiter rein und spuckt diese ohne Wehmut wieder aus.
- Veraltetes Anreizsystem: Dass Preise in die Höhe gehalten werden, mag bei manchen noch Anreize setzen. Viele werden jedoch spätestens nach einer Weile hinterfragen, was für ein Sinn dahinter steckt und nicht viel finden.
- Hohle Hierarchien: Vermeidliche Freiheiten werden durch erwartete Überstunden ausgehöhlt. Inwiefern proklamierte Werte und Ideale noch Bestand haben, ist fraglich.
- Fehlende Förderung und Leadership: Auch wenn früh Personalverantwortung angeboten wird, geschieht diese meist ohne Förderung oder inhaltlicher Vorbereitung. Der Sprung ins kalte Wasser mag reizvoll sein, kann bei einer Generation Y mit ihrem Verlangen nach Sinnhaftigkeit allerdings auch abschrecken.
Neuer Anstrich oder komplettes Make-Over?
Wenn junge Arbeitnehmer mehr verlangen, mehr Freiheit, mehr Sinn, was müssen Werbeagenturen dann umsetzen? Dienstwagen, Boni, Kicker und Pizza bei Überstunden scheinen auf jeden Fall nicht jeden zu überzeugen. Agenturen, egal wie groß oder klein, werden Grundsätze ihrer Arbeitsweise nicht durch eine neue Arbeitergeneration ändern können. Kurze Deadlines, anspruchsvolle Projekte werden in den Werbeagenturen weiterhin vorkommen. Die Herausforderung besteht nur darin, dies in die Wünsche nach Familienleben und Work-Life-Balance zu integrieren. Wie in jedem guten Verhältnis, so ist es auch im Arbeitsverhältnis eine Frage der Gleichberechtigung, Mitbestimmung und Ehrlichkeit. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) empfiehlt seinem Klientel, flexible Arbeitszeiten und Familienfreundlichkeit zu stärken. Der Spagat ist allerdings gewaltig. Großkonzerne, wie Apple und Google, können es sich leisten, als freundlich-flexibler Arbeitgeber da zu stehen. Wie soll dies eine Agentur leisten?
Solch ein Employer Branding aufzubauen, ist im Zweifelsfall langwierig und kostspielig. Besonders, wenn das Branchenimage derart vorbelastet ist. Die Zeiten, in denen Bewerber Schlange standen, um in Werbeagenturen durchzustarten, sind vorbei. Es scheint vielmehr die Zeit gekommen, in der sich Agenturen bei Kandidaten bewerben müssen. Argumente, sich kommenden Kollegen schmackhaft zu präsentieren, werden vor allem in den Bereichen liegen, die der Generation Y wichtig sind:
- Flexible Arbeitszeitmodelle
- Kollaborationen, die eine Präsenz im Büro nicht verlangen, sondern auch Home Office ermöglichen
- Perspektiven, die eine selbstbestimmte Karriere unterstützen, z.B. auch als Freelancer
- Teilhabe an Unternehmensentscheidungen
Eines ist sicher. Im Gegensatz zur Generation Praktikum ist die Generation Y ein gesellschaftliches Phänomen. Und noch ein Punkt ist sicher. Die Millennials machen das Recruiting der Zukunft anspruchsvoller. Tools, die die Wünsche von potentiellen Kandidaten ausblenden und nur nach Qualifikationen von Bewerbern fragen, liefern keine adäquaten Ergebnisse, um qualifizierte Bewerbungsgespräche zu führen.