Werkzeuge vor einem Bildschirm

5 erprobte Werkzeuge & 1 Erkenntnis

Der große Methodik-Baukasten für Copywriter
Anne Grüner
| 21.04.2020

Die Erkenntnis gleich vorweg. Ich behaupte: Eigentlich wissen wir alle, dass Struktur und Methodik uns helfen, um nicht ständig in Chaos und zeitaufwendigen Einzelfallentscheidungen zu versinken. Eigentlich.

Gleichzeitig begegnen uns tagtäglich die schnellen Hilfsversprechen, sofort umsetzbaren Tipps und einfach anwendbaren Lösungen.

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Du bist auf LinkedIn aktiv? Hier sind 10 Tipps für mehr Follower (statt einer Strategie, was diese Follower einem bringen).

Du bist Copywriter? Hier sind 5 effektive Hacks für dich (statt dir Methodiken zu vermitteln, welche du unendlich anpassen und abwandeln kannst).

Schuldig. Das letzte Beispiel stammt von mir. Hacks, Tipps, Hilfestellungen und Baukästen sind der neue Standard in vielen Magazinen, Blogs und Vorträgen. Nicht zu Unrecht, schließlich bieten sie den Lesenden die Chance, genau die Inhalte herauszupicken, welche zu deren individuellen Use Cases passen. Im Prinzip ein großes Puzzle. Es gibt uns das gute Gefühl, unter geringem Zeitaufwand den Output zu maximieren, etwas “für die Praxis” zu lernen.

Das Risiko besteht allerdings darin, nur noch mit Ausschnitten zu puzzeln. Dann verlernen wir, uns zu strukturieren, einem Plan (und damit auch einem Ziel) zu folgen, skalierbare Qualität zu liefern. Ich plädiere dafür, regelmäßig bewusst die Schnellhilfeanleitungen beiseite zu legen und sich auf die Verfeinerung der Methodik zu konzentrieren. Und wer dafür noch etwas sprachliche Motivation von den alten Griechen benötigt: Methodik ist dem Wortursprung nach die Kunst des planmäßigen Vorgehens.

Vorbereitungsphase: So verlierst du nicht den Faden

Sich an einen neuen Text oder selbst eine neue Headline zu wagen, ist für mich immer ein Stück weit überfordernd. Geht es dir ähnlich? Es gibt so viele Informationen zu recherchieren, so viel vom Produkt oder dem Thema, der Zielgruppe und dem Zweck der Copy zu verstehen. Hinzu kommt für viele Copywriter, dass sie zielgerichtete Inhalte für sehr spezifische Schritte innerhalb eines Funnels erstellen und daher die komplette Customer Journey verstehen müssen – also woher die Nutzer kommen und wohin sie gelangen, welche Eindrücke sie vorher sammelten, welche Erwartungshaltung sie mitbringen und vieles mehr. Dies trifft selbst dann zu, wenn die Copy ein Blogbeitrag ist – schließlich sind Blogbeiträge eine wichtige Akquisemethode und dürfen gerne konvertieren. Ob dein konkreter Anwendungsfall nun ein Blogbeitrag oder eine SEA-Landingpage ist, die beiden folgenden Werkzeuge helfen mir immer, um schon in der Vorbereitungsphase dafür zu sorgen, dass ich später nicht den Faden verliere.

Werkzeug 1: KPIs – wofür mache ich das alles eigentlich?

Stellt man uns Copywritern die Frage, wofür unser Text eigentlich gut ist, geben wir häufig eher qualitative Antworten:

  • Um den Nutzer vom Produkt zu überzeugen!
  • Um ihn über dieses Thema zu informieren!
  • Um ihn zur Registrierung zu bringen!

Wir verstehen den Kontext des Nutzers und vermitteln ihm Informationen, Emotionen; wir können ein bewusstes und unterbewusstes Synapsenfeuerwerk auslösen.

Für Conversion Copywriter gibt es allerdings eine zweite Antwort: Den KPI (Key Performance Indicator mit Betonung auf “Key”), auf welchen die jeweilige Copy einwirkt. In anderen Worten: das quantitative Ziel, welches letztlich auf das Wachstum einzahlt. Dies ist die Perspektive der Business Goals, in der sich die Wirksamkeit von Copy messen, testen und skalieren lassen kann.

Ein Beispiel: Nehmen wir an, dass mein SEO-Kollege gerade versucht, die Verweildauer auf Blogbeiträgen zu erhöhen. Als Conversion Copywriter kann ich ihm dabei helfen, indem ich mir diesen KPI ebenfalls auf meine eigene Fahne schreibe: Um die Verweildauer zu erhöhen, kann ich versuchen, die Textstruktur zu optimieren und somit das Scannen des Inhalts sowie das gezielte Lesen von relevanten Abschnitten erleichtern. Ich kann bei längeren Beiträgen ein klickbares Inhaltsverzeichnis einführen, innerhalb des Blogbeitrages das Ende anteasern und so Neugier schaffen, Sprungmarken setzen, mit visuellen oder gar interaktiven Inhalten experimentieren und vieles mehr. Vielleicht wäre ich all diese Ideen ohnehin früher oder später angegangen – doch die Tatsache, dass ich mir die Verweildauer als klaren KPI gesetzt habe, gibt mir Struktur und ein Priorisierungsmodell.

Nun klingt das – vor allem für die Kollegen in Business- und Product-Rollen – himmlisch. Kein Diskutieren über “schön” oder “bold”, über “nicht unser Stil” oder “das ist zu lang” mehr? Ganz so einfach ist es leider nicht. Copy-Testing ist komplex und ich erinnere gerne daran, dass der Nutzer nicht beispielsweise die Headline getrennt von allen anderen Elementen auf der Seite wahrnimmt, sondern nun einmal der Gesamteindruck über sein Verhalten entscheidet. Daher lautet mein Ratschlag: KPIs für Copy ja – aber sie sollten nie ein alleinstehendes Bewertungsmerkmal sein. Ich mag durch meine Copy-Experimente mit den Blogbeiträgen zwar die Verweildauer erhöht haben, doch vielleicht kam gleichzeitig wesentlich weniger Traffic an oder das Design wurde geändert. In einer idealen Welt kenne ich diese Faktoren und kann mit ihnen planen, um möglichst saubere Experimente durchführen zu können – in der Realität sieht das natürlich oft anders aus. Daher sollten die gesetzten KPIs immer im Kontext von Design, Kommunikationsarchitektur und auf Basis der gesamten Customer Journey, deren Teil die jeweilige Copy ist, betrachtet werden.

Obwohl es also nicht ganz so einfach ist wie zunächst von mir nahegelegt, ermutige ich jeden Copywriter, sich eine klare KPI für jede Copy zu setzen und diese zu monitoren, um die Effektivität zu beurteilen. Auch, wenn dieses Kriterium nicht das einzige ist – es ist ein sehr guter Anfang für datenbasiertes Copywriting.

Beispielhafte KPIs für verschiedene Copy:

Tabelle mit KPIs und parktischen Beispielen für das Copywriting

Werkzeug 2: Mindmaps – Organisation ist alles

Ich liebe Mindmaps. Sie helfen mir nicht nur bei der Organisation von Informationen (und Emotionen, dazu gleich mehr), sondern auch dabei, Querverweise zu finden, die umfangreichsten Themen-Subkomplexe zu identifizieren und Informationen während des Schreibprozesses gezielt auszuwählen.

Neben den klassischen Informationen zu einem Thema oder Produkt, reichere ich meine Mindmaps gerne mit Emotionen an: Welche Gefühle will ich in meiner Copy vermitteln (beispielsweise Sicherheit, Vertrauen, Neugier, Spannung, …)? Welche Vorteile aus Nutzersicht kenne ich und wie wirken diese auf der emotionalen Ebene (siehe Werkzeug 4)? Und in Richtung des entgegengesetzten Poles: Welche Ängste, Sorgen und Einwände könnte der Nutzer haben?

So wird meine Mindmap nicht nur zu einem Informationsüberlick, sondern gleichzeitig zu einer kleinen Kommunikations-Roadmap, die sicherstellt, dass ich die immens wichtige emotionale Ebene nicht vergesse.

Handling-Tipp: Um auch während des Ausformulierens organisiert zu bleiben, hake ich die behandelten Themenkomplexe in meiner Mindmap ab oder streiche sie durch. (Und ja, das impliziert, dass ich meine Mindmaps ganz traditionell auf Papier male.)

Beispielhafte Mindmap zum Use Case: Blogbeitrag über den Blobfisch für einen Tierwohl-Blog

Mindmap zum Begriff Blobfiish

P.S.: “Blobfisch” in der Bildersuche googlen lohnt sich!

Anwendungsphase: Den richtigen Ton finden

Nachdem alle Informationen und Emotionen organisiert sind und wir wissen, wofür wir überhaupt Copy erstellen, konzentrieren wir uns darauf, “wie” wir kommunizieren. Statt langer Erklärungen, entscheide ich mich an dieser Stelle für ein kurzes Beispiel, wie verschieden wir die gleichen Informationen kommunizieren können.

Was und wie wird Kommuniziert am Beispiel von der Formulierung eines Tagesgerichts

Dieser Unterschied zwischen “was” und “wie wir kommunizieren, lässt sich wie im obigen Beispiel auf bestimmte Use Cases anwenden – und auf ganze Marken. Der berühmte “Tone of Voice”-Guide, welcher auf den verlassenen Marketing Shared Drives vieler Unternehmen liegt, kann und sollte eine solche emotionale Richtung für die Marke beinhalten. Denn das “wie” ist nicht nur ein Kommunikationsinstrument, sondern hebt Marken von einander ab und hat einen großen Anteil daran, wie die Zielgruppe(n) auf sie reagieren.

Man denke beispielsweise an Apple mit selbstbewussten, eher kühlen Slogans wie “Just the right amount of everything”, im Vergleich zu Blackberry, welche auf ihren wesentlich reduzierten Landingpages eher recht kurze Statements wie “Sichere Geräte” präsentieren. Wir befinden uns im gleichen Markt – Smartphones – doch in völlig verschiedenen emotionalen Welten.

Werkzeug 3: Emotions-Mapping – wie wollen wir wahrgenommen werden?

Ob Freelance- oder Inhouse-Copywriter – es ist wichtig, den Stil zu finden, in welchem eine Marke sich präsentieren möchte (und sicherzustellen, dass dieser Stil zur Zielgruppe passt – oder kannst du dir den eben genannten Apple-Slogan in der Werbung für Tierbedarf vorstellen?). Da es erfahrungsgemäß jedoch nicht nur eine Meinung zum Tone of Voice gibt, hilft es, den internen oder externen Stakeholdern mit einer kleinen Handreichung die Definition zu erleichtern. Die hier gezeigte Skala zeigt zwei gegensätzliche Pole der gleichen Kategorie, auf welcher jeder Beteiligte stufenlos eintragen kann, an welcher Stelle zwischen den beiden Extremen er den Kommunikationsstil der Marke in Richtung der Nutzer sieht.

Natürlich kann diese Skala nach Belieben angepasst und erweitert werden, je nach individuellem Fall – der Grundgedanke ist auch hier die Methodik, nicht die Umsetzung.

Beispielhafte Skala zum Emotions-Mapping der Tone of Voice:

Tabelle von Tone of Voice

Handling-Tipp: Achte beim Erstellen deiner Skala darauf, in der Wortwahl keine Wertung zu suggerieren (z.B. “avantgarde” oder “simpel”) und nicht auf allzu naheliegende Begriffe zurückzugreifen, welche wohl den meisten Stakeholdern sofort einfielen (z.B. “modern”, “seriös”, “persönlich”). Es darf durchaus Spannungsfelder innerhalb der Skala geben, um die passende Richtung zu identifizieren!

Werkzeug 4: Vorteilskommunikation – dem Nutzer sagen, was für ihn drin ist

Viele Unternehmen setzen naheliegender Weise in ihrer Kommunikation darauf, zu kommunizieren, was sie zu bieten haben. Während dies in Anbetracht von Marktsituation und Klarheit ein guter Startpunkt ist, sollten wir als Copywriter darauf achten, dass wir vor allem auf Landingpages, in Funnels und an anderen sehr Conversion-relevanten Orten von Feature- zu Vorteilskommunikation gelangen.

Die ganz klassische Frage “was ist für mich drin?” sollte aus Nutzersicht beantwortet werden.

Vergiss dabei jedoch nicht, dass in vielen Fällen das Feature an sich lediglich ein Vehikel ist, um zum eigentlichen Ziel zu gelangen – zum Beispiel kaufe ich mir kein Fahrrad, um ein Fahrrad zu besitzen, sondern, um schnell und komfortabel, an der frischen Luft und ohne CO2-Ausstoß von A nach B zu gelangen.

Wie gelange ich von Feature- zu Vorteilskommunikation?

Diese Fragen stelle ich mir, um die Nutzerperspektive besser einnehmen zu können:

  • Wofür und wie benutze ich das Produkt?
  • Inwiefern vereinfacht es mir das Leben? Was genau wird verbessert, optimiert, vereinfacht?
  • Welche Lebensverbesserung habe ich davon? Z.B. Zeitersparnis, Bequemlichkeit, Steigerung des Wohlbefindens, …
  • Unabhängig von der Konzeption des Features, wie wird es wirklich genutzt? (Hier helfen Kunden-Interviews, Infos der Kollegen aus dem Customer Support, qualitative Daten aus Analyse-Tools wie Hotjar und Fullstory, etc.)
  • Welche häufigen Fragen von Leads und Kunden gibt es?
  • Was bleibt – negativ wie positiv – beim Nutzer hängen? (Hier helfen z.B. Rezensionen und Surveys)

Ein Beispiel: Warum kaufe ich mir ein Fahrrad?

Fahrrad mit Diebstahlschutz = keine Angst um’s Fahrrad mehr, endlich Entspannung!
Fahrrad mit herausstechendem Design = falle überall auf, lebe deinen Style!
Fahrrad mit High-Tech-Equipment & App = mache dein Rad zum täglichen Workout-Begleiter!
Fahrradschlauch aus neuartigem Material = sicheres Fahren mit Anti-Platten-Garantie!

Evaluationsphase: Gut! … Oder?

Nehmen wir an, unsere akribische Vorbereitung ist abgeschlossen. Wir haben alle nur möglichen Informationen und Emotionen gesammelt, wir wissen, wie wir Vorteile statt nur Features kommunizieren, unser Ziel und die Stelle in der Customer Journey, an der wir uns befinden, sind uns klar – und jetzt? Tja. Jetzt formulieren wir das Ganze nur noch aus.

Diese leicht ironische Antwort ist verständlicher Weise unbeliebt, allerdings ist sie auch wahr. Conversion-optimiertes Texten bedarf eines unglaublichen Umfangs an Vorbereitung und es ist völlig normal, sich selbst im Laufe der Anwendung ständig erneut in Frage zu stellen. Hat man dann endlich etwas veröffentlicht, ist man stolz – sollte es jedoch trotzdem nicht dabei belassen.

So gut die Vorbereitung und Ausführung auch ist, so ist regelmäßiges Testen neuer Copy-Ideen inhärent. Und so viel wir auch wissen, basierend auf quantitativen und qualitativen Daten, neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und Kommunikationstheorie, wir können doch nie in den Kopf des Nutzers sehen und all die bewussten und unterbewussten Vorgänge dokumentieren, welche letztendlich zur (Kauf-)Entscheidung geführt haben.

Insofern ist Feedback aus dem echten Leben essentiell. Doch anhand welcher Ideen kann ich Hypothesen bilden, um beispielsweise Headlines zu testen?

Werkzeug 5: Ansätze für Copy-Testing-Ideen

Längst nicht jedes Unternehmen hat einen Conversion-Optimierungsprozess etabliert, in welchem regelmäßig Experimente durchgeführt werden. Ein Anfang für Copywriter ist es bereits, Fragestellungen zu sammeln, die zu Testing-Ideen führen können.

Natürlich ist dies hochgradig abhängig vom jeweiligen Produkt, Markt, Geschäftsmodell, der Zielgruppe – doch als Handreichung, um bei den ersten Copy-Experimenten nicht verloren zu sein, können wir uns die folgenden Fragen stellen:

  • Kann ich die (Teil-)Zielgruppe noch präziser ansprechen?Nehme ich die
  • Probleme/ Pain Points der Nutzer auf?
  • Behandle ich berechtigte und offensichtliche Einwände (z.B. Vertragslaufzeiten, Kündigungsfristen, Versandkosten)?
  • Kommuniziere ich klar und einfach genug, um keine Abwehrreaktion durch zu große Komplexität zu erzeugen?
  • Bestätige ich positives Nutzerverhalten (z.B. durch Validierung in Formularen)?
  • Vermittle ich Vorteile?
  • Nutze ich bewusst Emotionen?
  • Erhöhe ich die Aufmerksamkeit dort, wo es wesentlich ist?
  • Gebe ich ausreichend Orientierung?
  • Mache ich den Mehrwert deutlich?
  • Wecke ich Neugier?

Großartige Copy entsteht nur zu einem vergleichsweise geringen Anteil durch sprudelnde Kreativität im schriftstellerischen Sinn. Daten an passender Stelle anwenden, Informationen organisieren, Kommunikation gezielt anwenden und gleichzeitig dem Nutzer gegenüber empathisch sein zu können, ist der Schlüssel. Methodik ist der Schlüssel. Die Kunst des planmäßigen Vorgehens.

Author

Anne Grüner
Anne Grüner ist Conversion Managerin und langjährige Conversion Copywriterin. Beim FinTech-Startup Kontist entwickelt sie nachhaltige Optimierungsstrategien und generiert Wachstum durch den Erkenntnisgewinn aus Tests und Experimenten. Zudem ist sie als freiberufliche Beraterin tätig. Durch ihre Erfahrungen in den Bereichen SEO, Content und Product Management setzt sie Conversion Optimierung in den Kontext von Unternehmenszielen und Nutzererfahrung.